Chronischen Schmerz als eigenständige Krankheit zu betrachten, kann zunächst ein ungewohnter Gedanke sein. Naheliegender erscheint den meisten Menschen, den Schmerz als Signal für eine zugrundeliegende Krankheit zu verstehen, deren Ursache es zu beheben gilt. Häufig ist jedoch eine Ursachenbehandlung nicht möglich: entweder, weil keine eindeutigen organischen Ursachen gefunden werden, oder weil die zugrundeliegenden Krankheitsprozesse nicht ursächlich behandelbar sind.
Letzteres trifft z.B. auf die Migräne zu: Obwohl die zugrundeliegenden Fehlfunktionen im Nerven- und Gefäßsystem recht gut erforscht sind, ist es bisher nicht möglich, die Veranlagung eines Menschen zu Migräneanfällen vollständig zu beheben.
Ein anderes Beispiel ist chronischer Rückenschmerz. Hier greifen meist mehrere Ursachen ineinander, z.B. eine Fehlhaltung und mangelnde körperliche Kondition, Degenerationserscheinungen in der Wirbelsäule, psychische Belastungen, die mit muskulärer Daueranspannung einhergehen.
Weitere Beispiele für chronische Schmerzerkrankungen sind: Gesichtsschmerzen, Spannungskopfschmerzen, Muskelschmerz, Stumpf- und Phantomschmerzen, Schmerzen nach einem Schlaganfall.
Wenn chronischer Schmerz den Stellenwert einer eigenständigen Krankheit entwickelt hat, hat dies oft gravierende Auswirkungen auf die Lebensqualität: Normale Alltagsaktivitäten und soziale Kontakte können nur noch unter großem Kraftaufwand durchgeführt werden oder werden aufgegeben. Durch Arbeitsunfähigkeit sind der Lebensinhalt und die existentielle Grundlage in Frage gestellt. U.U. stellt sich eine schmerzbedingte Depression ein. In diesem Fall ist eine gezielte Schmerztherapie erforderlich, bei der die Psychotherapie ein wichtiger Baustein sein kann.
Schmerzpatienten, denen eine Psychotherapie vorgeschlagen wird, befürchten oft, man glaube ihnen ihre Schmerzen nicht oder unterstelle ihnen "eingebildete Schmerzen". Solche Befürchtungen sind unbegründet! Das wichtigste Ziel einer Psychotherapie bei chronischem Schmerz ist es, einen angemessenen Umgang mit der Schmerzkrankheit zu erlernen und den damit verbundenen Belastungen begegnen zu können. Konkret bedeutet das u.a., Selbsthilfefähigkeiten (wie z.B. Bewegung, Ablenkung, Entspannungsmethoden) aufzubauen, Rollen und Aufgaben in der Familie neu zu verteilen, eine neue Perspektive für Lebensinhalte und Beruf zu finden. Die Psychotherapie soll also, auch bei eindeutig organisch bedingten Schmerzen, dem Betroffenen dabei helfen, seinen eigenen Spielraum zu einer positiven Beeinflussung der Schmerzkrankheit zu nutzen.
Die ärztliche, speziell auch medikamentöse, und die psychologische Schmerztherapie stehen dabei nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern sollen ineinandergreifen. Hierfür ist eine gute Kooperation zwischen den verschiedenen an der Schmerzbehandlung beteiligten Therapeuten erforderlich.
In Deutschland sind viele Schmerztherapeuten der verschiedenen Fachrichtungen in den regionalen Arbeitsgruppen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. DGS zusammengeschlossen. In Form von regelmäßig stattfindenden Fallkonferenzen wird hier direkter interdisziplinärer Austausch gewährleistet. Adressen von qualifizierten Schmerztherapeuten vermittelt die Deutsche Schmerzliga e.V.. Hierhin können sich auch Betroffene wenden, die sich gemeinsam mit anderen Schmerzpatienten für die Belange chronisch Schmerzkranker engagieren möchten.